Blinden- und Sehbehindertenzentrum

Neubau, Innsbruck, Tirol (AT)

Vor 50 Jahren stand das damals neu errichtete Tiroler Blindenheim am Rand der Stadt Innsbruck, ein Villenviertel im Rücken und mit freiem Blick auf Wiesen und Felder. Das Gebäude war zu klein geworden, wies bautechnische Mängel auf und es fehlten die Möglichkeiten für neue therapeutische Einrichtungen.

Der Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband erstellte detaillierte Raumanalysen, die dem künftigen Bedarf gerecht werden konnten und schrieb gemeinsam mit der Neuen Heimat Tirol 2003 einen Wettbewerb aus, den die Arge der Architekten Peter Mayrhofer, Michael Pfleger und Maria Schneider für sich entscheiden konnten, wobei die stadträumlichen Qualitäten des Entwurfes und die der besonderen Nutzung entsprechende Funktionalität der inneren Organisation ausschlaggebend waren.

Der Baukörper und die in die Planung integrierte Gestaltung des Aussenraumes besetzen an einer inzwischen stark befahrenen Strassenkreuzung selbstbewusst ihren Platz, was sowohl der Haltung des Bauherrn als auch den städtebaulichen Intentionen entspricht.

Die markante Abschrägung des Stahlbeton-Skelettbaues an der Nordseite, die mit Aluminium-Platten verkleidet ist, reagiert auf die Abstandsbestimmungen der Tiroler Bauordnung und bewirkt zusammen mit den dreiseitig umlaufenden Balkonen mit beweglichen Screens als Sonnen- und Blendschutz die besondere Leichtigkeit des Baukörpers. Der vorgelagerte Sinnes-Garten mit 400 m2 als Erlebnis- und Begegnungsraum, seiner strengen Einfassung, die dem Schutz der Benützer gegenüber dem hektischen Außenraum dient, definiert die Erdgeschosszone, vielfach wird Sichtbeton als Konstruktions- und Gestaltungselement verwendet.

Die äußere Hülle ist prägend für den Straßenraum, die Ansprüche an das Innere sind jedoch umfassend innovativ. Das Zentrum ist Anlaufstelle für ca. 2500 blinde und sehbehinderte Menschen, wobei davon nur ein kleiner Teil völlig ohne Lichtempfindung in absoluter Dunkelheit lebt, der größere Teil leidet an altersbedingten Netzhauterkrankungen. Sehbehinderte Kinder benötigen pädagogische Frühförderungen, die Übergänge zu auch psychischen Behinderungen sind fließend. Ihnen allen sollen die Möglichkeiten geboten werden, ein selbstständiges Leben zu führen.

Durch die klare horizontale Trennung werden die beiden unteren Geschosse mit Servicestellen, Mehrzweckräumen und integriertem Café, Verwaltungsbüros, Betreuungsbereichen und der Hilfsmittelzentrale mit 600 Geräten vom Blindenstock über die sprechende Uhr bis zu Computerarbeitsplätzen für die Zwecke des Verbandes nutzbar, die oberen Geschosse beinhalten auf 600 m2 individuell gestaltete Wohnungen für sehbehinderte Menschen, die grundsätzlich selbstständig leben, aber auch entsprechende Assistenz brauchen und für die auch ein eigener Zugang ausgeführt wurde. Das Untergeschoss beherbergt Tiefgarage, Lagerräume für Therapiematerial sowie den Bereich der Audio-Braille-Technik, in dem Hörmagazine und Publikationen in Blindenschrift produziert werden.

Das Gebäude ist als Pilotprojekt selbstverständlich barrierefrei ausgestattet, weist aber darüber hinaus Merkmale auf, die auf Normen und Empfehlungen für die speziellen Bedürfnisse von Sehbehinderten beruhen, die intern in mehreren experimentellen Arbeitsgruppen selbst erarbeitet wurden. Die gängigen Vorschriften orientieren sich hauptsächlich an Gehbehinderten und Rollstuhlfahrern, für Sehbehinderte sind jedoch erweiterte Maßnahmen in taktiler und akustischer Hinsicht erforderlich.

Das stufenlose taktile Bodenleitsystem beginnt schon bei der Straßenbahnhaltestelle und setzt sich im Inneren des Gebäudes fort. Hier ergänzen sich taktile Informationen an den Handläufen mit akustischen Informationen. Besonderes Augenmerk wird auf starke Farbkontraste in der Innenausstattung sowie die Vermeidung von Reflexionen und irritierender Blendwirkung gelegt, die Lichtplanung arbeitet mit indirekter Beleuchtung und der doppelten Luxzahl als für Normalsichtige üblich. Sehbehindertengerechte Küchen- und Sanitärräume erfordern ebenfalls spezifische Bearbeitung mit ausgeprägten Kontrasten, ohne spiegelnde Oberflächen, gut greifbaren Bedienungselementen und dem Verzicht auf jedwede Sensortasten.

Das Haus gilt als Vorzeigeprojekt für ähnliche Bauten; viele der hier erstmals in dieser Gesamtheit angewandten Überlegungen und der im laufenden Betrieb gewonnenen Erkenntnisse sollten sich auch in anderen Behinderteneinrichtungen als wertvoll erweisen.